[CW: Der folgende Text behandelt das Thema Tod und Erkrankung von Kindern und jungen Menschen] Schätzungen zufolge sind in Deutschland rund 50.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene von einer lebensverkürzenden Erkrankung betroffen. Eine solche Diagnose ist schwer und oft über den Moment hinaus eine enorme Belastung für die ganze Familie – in vielen Fällen sogar jahrelang. Hier setzt die Kinderhospizarbeit an und unterstützt die Kinder und ihre Familien in dieser herausfordernden Zeit. Eine dieser Anlaufstellen ist der Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst Dresden, dessen Koordinatorin Doreen Zschocke uns einige Fragen beantwortet hat.
Frau Zschocke, was genau beinhaltet die Arbeit des AKHD?
Der Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst (AKHD) Dresden begleitet Familien mit einem lebensverkürzt bzw. lebensbedrohlich erkrankten Kind, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen (bis 27 Jahre) in Dresden und im Umkreis, ab der Diagnosestellung sowohl im Leben, im Sterben, als auch in der Zeit danach. Unser Dienst ist ebenso wie alle ambulanten Hospizdienste so aufgebaut, dass es einerseits hauptamtliche Koordinator:innen gibt. Andererseits lebt die ambulante (Kinder-)Hospizarbeit sehr stark durch das Ehrenamt. In unserem Dienst werden wir derzeit durch 52 aktive Ehrenamtliche unterstützt, welche in 33 Familien aktiv sind. Diese bilden wir in einem mehrmonatigen Vorbereitungskurs selbst aus, um sie auf ihre Begleitung in den Familien vorzubereiten. Im Januar haben wir einen neuen Kurs mit 15 Teilnehmenden gestartet.
Warum ist Hospizarbeit so wichtig – für die Sterbenden und ihre Angehörigen?
Einerseits kommen wir, gerade durch die medialen Möglichkeiten, immer häufiger „mit dem Tod in Berührung“. Die meisten haben in Film und Fernsehen bereits hunderte von Toten und Todesarten gesehen. Zudem nimmt die Literatur zum Thema Sterben, Tod und Trauer sowohl für Erwachsene als auch für Kinder rasant zu, es gibt Podcasts, Social-Media-Channel, etc. zu diesen Themen, sodass man annehmen müsste, der Tod sei selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft. Andererseits kommen wir privat oftmals deutlich weniger mit dem Tod in Berührung, als dies noch vor vielen Jahrzehnten der Fall war, wo z.B. die Kindersterblichkeit deutlich höher lag, Familien noch in größeren Verbünden zusammenlebten und Sterben dort selbstverständliche „Familiensache“ war. Auch Kinder kamen mit Sterben, Tod und Trauer in Berührung, wenn z.B. die Großeltern zuhause verstarben. Das ist in der heutigen Zeit anders: Der Tod wird aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen oftmals in Einrichtungen ausgelagert. Gleichzeitig gibt es einen rasanten medizinischen Fortschritt, der es ermöglicht, dass Erkrankungen früher erkannt und behandelt werden können. Auch mit lebensverkürzenden Erkrankungen können Kinder, Jugendliche und Erwachsene heute vielmals länger leben.
Bezogen auf die Kinderhospizarbeit führt dies aber auch zu einer Vielzahl von Herausforderungen für die betroffenen Familien, die sich mit einer solchen Diagnose neu organisieren müssen. Arzttermine sind zu koordinieren, Korrespondenz z.B. mit der Krankenkasse zu führen, Hilfsmittel, medizinisch notwendiges Equipment und ggf. ein Pflegedienst zu organisieren, sozialrechtliche Ansprüche zu prüfen und nicht selten mit viel Nachdruck durchzusetzen. Oftmals reduziert ein Elternteil die Arbeitszeit oder bleibt für die Pflege des erkrankten Kindes gänzlich zuhause, was wiederum zu finanziellen Engpässen führen kann. Nicht selten gibt es Geschwisterkinder, die ebenfalls gut im Blick behalten werden müssen. Es handelt sich also um ein komplexes Gefüge an Herausforderungen. Die ambulante Hospizarbeit möchte hier kleine Verschnaufpausen für betroffene Familien schaffen, um sie auf dem Lebensweg zu unterstützen. Gleichzeitig sind wir im Sterben und darüber hinaus Ansprechpartner und Unterstützer.
Was gehört alles zur Kinderhospizarbeit?
Für lebensbedrohlich bzw. lebensverkürzt erkrankte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gibt es in Deutschland eine Vielzahl an Unterstützungsmöglichkeiten. Einen Teil davon stellt die Hospiz- und Palliativversorgung dar. Das sind u.a.:
Kinderpalliativteams/ Kinderbrückenteams, d.h. multiprofessionelle Teams aus Ärzt:innen, Pflegepersonal und psychosozialen Mitarbeitenden, die betroffenen Familien mit komplexem Symptomgeschehen zur Seite stehen, mittels Rufbereitschaft und Hausbesuchen, um erneute Krankenhauseinweisungen zu vermeiden. In Sachsen gibt es dafür das Kinderpalliativteam der Uniklinik Dresden.
Stationäre Kinderhospize bieten eine weitere Unterstützungsmöglichkeit an. Im Vergleich zu Erwachsenenhospizen, in die man ausschließlich in den letzten Wochen seines Lebensweges einzieht, um dort zu versterben, bieten sie Entlastungsaufenthalte für die ganze Familie an. Das heißt, eine Art Familienurlaub, in dem das Hospizpersonal der Familie Verschnaufpausen vom Alltag und eine erholsame Zeit ermöglicht. In Sachsen gibt es dafür das Kinderhospiz in Markkleeberg bei Leipzig. Familien sind hierbei jedoch nicht auf das eigene Bundesland beschränkt. Deutschlandweit gibt es rund 20 stationäre Kinderhospize.
Ambulante Kinderhospizdienste wie unserer sind kein medizinisches, sondern ein rein psychosoziales Entlastungsangebot für Familien ab der Diagnosestellung und dann oftmals über viele Jahre hinweg. Unser Erkrankungsspektrum umfasst nicht überwiegend Krebserkrankungen, sondern zu einem großen Teil auch degenerative Muskelerkrankungen, seltene Gendefekte, degenerative Stoffwechselerkrankungen, Sauerstoffmangel unter der Geburt oder nach Unfall, etc. Dies führt dazu, dass unsere Begleitungen oft über viele Jahre und sehr lange „im Leben“ stattfinden.
Wie sieht die Unterstützung durch den AKHD konkret aus?
Unsere hauptamtlichen Koordinatorinnen machen einen Erstbesuch in der Familie und besprechen gemeinsam die Unterstützungsmöglichkeiten, um im Anschluss ein bis zwei passende Ehrenamtliche für die Familie auszuwählen und sie vorzustellen. Die Begleitung erfolgt in der Regel einmal pro Woche für zwei bis drei Stunden. Die Ehrenamtlichen schenken der Familie ihre Zeit zum Dasein, Zuhören, Spielen, für Unternehmungen o.ä. Besonders ist dabei, dass wir nicht nur das erkrankte Kind, sondern auch die Geschwisterkinder begleiten können, je nach Wunsch und Bedürfnissen der Familie. Die Koordinatorinnen stehen im Verlauf der Begleitung weiter in engem Austausch sowohl mit der Familie – stehen für sozialrechtliche, psychosoziale und organisatorische Fragen und Anliegen zur Verfügung –, als auch mit den Ehrenamtlichen. In unserem Dienst finden regelmäßig gemeinsame Austauschtreffen zu den Begleitungen zwischen allen Ehrenamtlichen und uns Koordinatorinnen statt. Darüber hinaus gibt es für die Familien weiterführende Angebote, z.B. das Mütter- und Väterfrühstück und das Familiensommerfest, Kreativangebote für Geschwister, aber auch eine Selbsthilfegruppe für trauernde Eltern. Letztere steht nicht nur für von uns begleitete Familien offen, sondern auch für Eltern, deren Kind plötzlich z.B. durch einen Unfall oder eine akut verlaufene Erkrankung verstorben ist. Das Alter der Kinder ist dabei unerheblich, d.h. auch Eltern erwachsener verstorbener Kinder sind herzlich willkommen. Die Angebote sind für die Familien kostenfrei.
Sind die Angebote und Anlaufstellen für betroffene Familien in Sachsen und auch deutschlandweit ausreichend?
Deutschlandweit gibt es bisher keine verlässlichen Zahlen dazu, wie viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene von einer lebensverkürzenden bzw. lebensbedrohlichen Erkrankung betroffen sind. Schätzungen anhand einer britischen Studie gehen von ca. 50.000 Betroffenen in Deutschland aus. 2022 gab es in Deutschland 14,25 Millionen Kinder, wovon glücklicherweise nur ein sehr kleiner Teil (0,035 %) von einer lebensverkürzenden Erkrankung betroffen ist, und nicht alle davon benötigen Unterstützung durch Hospiz- und Palliativangebote. In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten haben die Angebote der Hospiz- und Palliativversorgung sowohl für Kinder als auch für Erwachsene rasant zugenommen. Deutschlandweit kann man mit aktuell 19 stationären Kinder- und Jugendhospizen, vier Palliativstationen, 36 Kinderpalliativteams sowie 230 ambulanten Kinder- und Jugendhospizdiensten von einer nahezu flächendeckenden Versorgung sprechen. Einzelne betroffene Familien, z.B. in manchen ländlichen Regionen, haben jedoch einen erschwerten Zugang zu bestimmten Angeboten.
Auch der Hospiz- und Palliativbericht Sachsen von 2022 bestätigt die gute Abdeckung. In Sachsen gibt es sieben ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste, ungefähr alle 50 km einen.
In welchen Bereichen wünscht ihr euch Unterstützung?
Finanzen: Unser Dienst bzw. Angebot ist über die Krankenkasse und über eine Förderung der Stadt Dresden sowie des Landes Sachsen lediglich teilrefinanziert. Der Restbetrag muss zu einem nicht unerheblichen Teil über Spenden aufgebracht werden. Daher sind wir über jegliche finanzielle Unterstützung dankbar. Sie ermöglicht es, dass es das Angebot geben kann und dass es für die betroffenen Familien kostenfrei zur Verfügung steht.
Ehrenamt: Unser Angebot lebt wesentlich durch ehrenamtliches Engagement. Je nach Bedarf führen wir daher einmal jährlich einen Vorbereitungskurs für neue Ehrenamtliche durch und freuen uns, wenn sich Menschen für dieses Ehrenamt interessieren und unsere Arbeit unterstützen möchten. Gerade mobile und fahrbereite Ehrenamtliche sind ein rares Gut, um auch Familien aus ländlicheren Regionen begleiten zu können.
Unterstützung: Wir freuen uns über verschiedenste punktuelle Unterstützung für unsere weiterführenden Angebote. Hier lassen sich z.B. Lebensmittelspenden fürs Familiensommerfest oder das Mütter- und Väterfrühstück anführen, Sonderangebote gastronomischer Lokalitäten für unseren Jahresauftakt, sowie das Sommergrillen mit unseren Ehrenamtlichen, oder auch „menschliche Ressourcen“. Z.B. wird beim kommenden Mütter- und Väterfrühstück ein Yogalehrer für unsere Familien eine Yogastunde anbieten, oder ein Frisör hat bereits mehrfach für uns einen Familientag veranstaltet, wo sich unsere Familien kostenfrei die Haare schneiden und stylen lassen konnten. Generell sind wir hierbei offen für Ideen und prüfen diese dann auf die Umsetzbarkeit für unsere Familien, da es für sie oft mit großem organisatorischen Aufwand verbunden ist, Angebote in Anspruch zu nehmen.
Vielen Dank, liebe Frau Zschocke, für diesen ganz besonderen Einblick!
Anlässlich des "Tags der Kinderhospizarbeit" am 10. Februar wird jedes Jahr auf das wichtige Engagement aller Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen im Kinder- und Jugendhospizdienst aufmerksam gemacht. Leider bekommt diese wichtige Arbeit nur wenig Aufmerksamkeit in unserer Gesellschaft. Die Pure Foundation unterstützt darum den AKHD Dresden.
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